• Die Historikerin Olga Wasiljewa ist eine gläubige orthodoxe Christin, die sich zugleich als "Patriotin" versteht – Ihre Kritiker befürchten, dass sie sich für die Wiedereinführung des Religionsunterrichts an den russischen Schulen einsetzen will

     Diskussionen um die neue russische Bildungsministerin

     

     

     

     

     

     

      Foto © TASS

    Moskau/Russland, 29.08.2016 (poi/CBS KULTUR INFO)   Die Ernennung der neuen Bildungsministerin Olga J. Wasiljewa hat in Russland Diskussionen ausgelöst. Die 56-jährige Historikerin ist eine gläubige orthodoxe Christin, die sich zugleich als "Patriotin" versteht. Schon ihre PhD-Arbeit von 1990 galt dem Thema "Der sowjetische Staat und die patriotische Arbeit der russisch-orthodoxen Kirche in den Jahren des Zweiten Weltkriegs". Ihre Ernennung wurde vom Moskauer Patriarchat begrüßt, wo man offensichtlich die Hoffnung hegt, dass Olga Wasiljewa in der bis heute ungelösten Frage des Religionsunterrichts an staatlichen Schulen Fortschritte ermöglichen wird. Genau aus diesem Grund wurde aber die Ernennung der Historikerin – die dem extrem unbeliebten Dimitrij Liwanow nachfolgt – sowohl von Anhängern des früheren kommunistischen Staatsatheismus als auch der säkularistisch eingestellten Opposition heftig kritisiert.

     

    Die Zeitung "Wedomosti" zitierte ungenannte Quellen "aus dem Bildungsministerium", wonach sich Olga Wasiljewa als "extreme Konservative" für eine Wiedereinführung des Religionsunterrichts an russischen Schulen einsetzen wolle. Vehikel der Kritik an der neuen Bildungsministerin – deren Ernennung wenige Woche vor den für 18. September angesetzten russischen Parlamentswahlen erfolgte – sind umstrittene Medienäußerungen, in denen sie Stalin gelobt haben soll. Unter anderem verlangte die Föderation der jüdischen Gemeinschaften Russlands eine Klarstellung der neuen Ministerin. Der Pressesprecher der Föderation, Boruch Gorin, sagte, er könne es nicht verstehen, wenn man den Terror der Stalin-Ära kleinrede, das erinnere ihn an die Ausdrucksweise der Holocaust-Leugner. Die Stalin-Ära sei "tödlich für Russland" gewesen, so Gorin. Viele Menschen seien ermordet worden, das freie Denken und der "post-revolutionäre Enthusiasmus" seien durch die Angst vor dem Terror ersetzt worden.

     

    Die neue Ministerin sah sich schließlich veranlasst, in einem Interview mit "Interfax" zu versichern, dass ihre wissenschaftliche Arbeit über die Beziehungen zwischen Staat und Kirche im 20. Jahrhundert und über die Kirchengeschichte während des Zweiten Weltkriegs nichts mit ihrer neuen Aufgabe in der Regierung zu tun habe. Ihr Prinzip sei es, "dem goldenen Mittelweg" zu folgen, sie wolle nirgends Schaden anrichten.

     

    Olga Wasiljewa hatte zunächst an der Moskauer Musikakademie studiert. Ihre historische Ausbildung absolvierte sie am Moskauer Pädagogischen Institut und an der Diplomatischen Akademie. Ihre Postgraduate-Studien erfolgten am Historischen Institut der Akademie der Wissenschaften. Nach der PhD-Arbeit 1990 schrieb sie 1999 ihre Dissertation über "Die russisch-orthodoxe Kirche in der Politik des sowjetischen Staates 1943-1948". Von 1991 bis 2002 arbeitete sie am "Zentrum für Kirchengeschichte" des Historischen Instituts der Akademie der Wissenschaften. Ab 2002 leitete sie die Abteilung für Religiöse Studien an der Russischen Akademie des Öffentlichen Dienstes (wo sie nicht nur Staatsbeamte mit Zuständigkeit für religiöse Fragen, sondern auch religiöse Führungspersönlichkeiten aus unterschiedlichen Konfessionen ausbildete). Zugleich war sie Mitglied des Religions-Komitees bei der russischen Regierung.

     

    Der Leiter des Außenamtes des Moskauer Patriarchats (und  des Kyrill-Method-Instituts), Metropolit Hilarion (Alfejew), würdigte in seiner Gratulation zur Ernennung die historische Arbeit der neuen Ministerin über "die Geschichte der Kirche in der Zeit der Verfolgung". Olga Wasiljewa sei es gelungen, eine Generation von jungen Kirchenhistorikern heranzubilden, die heute führende Experten seien. Zugleich habe sie immer mit den kirchlichen wissenschaftlichen Institutionen eng zusammengearbeitet, was auch  zur Gründung des Dissertations-Rates für die Vergabe der akademischen Grade (Kandidat, Doktor) für theologische Studien geführt habe (womit die Theologie zum ersten Mal nach der Oktoberrevolution wieder in den akademischen Bereich zurückkehren konnte). Der Metropolit brachte seine Hoffnung zum Ausdruck, dass die neue Ministerin zur "aktiven Entwicklung der Zusammenarbeit zwischen Kirche und Staat im Bereich von Wissenschaft und Bildung" beitragen wird.

     

    Auch Wladimir Legojda, der im Moskauer Patriarchat die Abteilung für die Beziehungen zur Gesellschaft und zu den Medien leitet, würdigte die neue Ministerin, die als Leiterin der Abteilung für Religiöse Studien an der Russischen Akademie des Öffentlichen Dienstes "einen wichtigen Beitrag zur Entwicklung des theologischen Denkens" in Russland geleistet habe. Legojdas Stellvertreter Aleksandr Schipkow fügte hinzu, in den letzten Jahren hätten alle Nachrichten aus dem Bildungsministerium im kirchlichen Bereich "tiefes Unbehagen" ausgelöst. Die Ernennung Olga Wasiljewas – "eine brillante Expertin der Geschichte der orthodoxen Kirche im 20. Jahrhundert und zugleich eine ausgewiesene Kennerin der Entwicklungen in der katholischen Kirche und in den protestantischen Kirchen"- sei die erste gute Nachricht seit vielen Jahren, die das Bildungsministerium betreffe.

     

    In der russischen kirchlichen Presse wurde darauf aufmerksam gemacht, dass Olga Wasiljewa mit dem Sretenskij-Kloster und dem dortigen Seminar verbunden ist. Abt des Klosters und Rektor des Seminars ist Bischof Tichon (Schewkunow) von Jegorjewsk, ein sehr angesehener Theologe, der als Beichtvater von Präsident Putin gilt. In einem Interview sagte sie 2009, dass es eines der großen Ziele ihrer wissenschaftlichen Arbeit sei, eine Monographie über Metropolit Nikodim (Rotow) zu schreiben. Metropolit Nikodim zeichnete sich durch seine ökumenische Aufgeschlossenheit aus. Er erlag 1978 im Vatikan einer Herzattacke, als er dem neugewählten Papst Johannes Paul I. seine Glückwünsche überbringen wollte. Der jetzige Patriarch Kyrill I. war der letzte Sekretär von Metropolit Nikodim. Zugleich bezeichnete sie es in diesem Interview als "einen der fatalen Fehler der neunziger Jahre", dass Konzepte wie Patriotismus, Liebe zur Heimat, Heldentum ausgemerzt worden seien. Eine der Konsequenzen sei gewesen, dass die jungen Leute nicht mehr mit den "tragischen Episoden" in der Geschichte des Landes umzugehen wüssten.

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  • Basel/Schweiz, 25.08.2016 (CBS KULTUR INFO)   Vom 5. bis 9. Oktober 2016 findet im Congress Center Basel am Messeplatz eine orthodoxe Kunstausstellung mit Messecharakter statt.

     

    Unter dem etwas verwirrenden Titel "Städte der Schweiz" präsentieren über 100 Aussteller aus 5 Ländern Meisterwerke der orthodoxen Kultur, aber auch religiöse Kultgegenstände. An der Ausstellung beteiligen sich Klöster, Orthodoxe Kirchen, theologische Verlagshäuser, Maler, Restauratoren und Kunsthandwerker aus Georgien, Moldawien, der Republik Belarus, Russland und der Ukraine. Verschiedene Devotionalien der traditionellen orthodoxen Kultur sowie Bücher, elektronische Medien, Kleider, Schmuck, Schuhe und Heilkräuter können käuflich erworben werden.

     

    Orthodoxe Kunstausstellung im Oktober im Congress Center Basel

     

     

     

     

     

     

     

     

     

     

     

     

     

    Veranstalter ist das in der ukrainischen Hauptstadt Kiew beheimatete internationale Messeunternehmen "I.S.P. Group". Die sakralen orthodoxen Kunstgegenstände werden vor Basel bereits in Vernier bei Genf ("Hall 22", vom 21. bis 25. September) sowie in Zürich ("Puls 5", Giessereihalle, vom 28. September bis 2. Oktober) gezeigt.

     

    http://isp-expo.com/basel.html

     

    http://www.congress.ch/de-CH/Veranstaltungskalender.aspx

     

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  • Südsudan: Bibelgesellschaft will vom Bürgerkrieg zerbrochene Herzen heilen

     

     

     

     

     

     

     

    Biel, 18.08.2016 (CBS KULTUR INFO)  Über die verzweifelte Lage im vom Bürgerkrieg geprägten neuen Staat Südsudan und die Herausforderungen mit denen die junge Südsudanesische Bibelgesellschaft seit ihrer Gründung 2012 kämpft, berichtet die jüngste Ausgabe der Zeitschrift "die Bibel aktuell" (Nr. 3/2016) der Schweizerischen Bibelgesellschaft. Die Republik Südsudan hatte sich 2011 nach 22 Jahren Bürgerkrieg vom Norden abgespalten. Seit 2013 herrscht in diesem jungen Staat erneut Bürgerkrieg. Die Volksgruppen der Dinka und Nuer liefern sich unerbittliche Kämpfe. Diese Auseinandersetzungen haben bislang zehntausende Menschenleben gefordert und rund zwei Millionen in die Flucht getrieben.

     

    Mit bescheidenen Mitteln versucht die Bibelgesellschaft im Südsudan neben der Bibelübersetzungsarbeit und Bibelverbreitung den Menschen mit Hilfe von Seminaren zur Trauma-Bewältigung auf biblischer Basis die seelischen Verwundungen zu mildern, welche die erlebte Gewalt des Bürgerkrieges hinterlassen haben. Die Bibelgesellschaft, mit Sitz in Juba, führt mit Hilfe der Kirchen auch Alphabetisierungsprogramme durch. In Folge der jahrelang anhaltenden kriegerischen Auseinandersetzungen hat sich auch die Bildungslage weiter verschlechtert. Dies drückt sich zum Beispiel in der niedrigen Alphabetisierungsrate von 30 Prozent aus. Bei Frauen ist die Rate noch niedriger: Nur zehn Prozent können lesen und schreiben.

    Nach Angaben des ersten Generalsekretärs der nationalen Bibelgesellschaft, Edward Kajivora, wurden 2015 im Südsudan so viele Bibeln und Bibelteile verbreitet wie nie zuvor. "Die Menschen sehnen sich nach der Bibel in ihrer eigenen Sprache, in Englisch oder Arabisch. Viele von ihnen sind hoffnungslos, weil die Kämpfe nicht enden. Auch Menschen, die bislang nicht gläubig waren oder einer anderen Religion angehörten, bekannten sich zum Christentum und wollten Bibeln kaufen, um sie für sich zu lesen", so Kajivora.

     

    Anders als im mehrheitlich islamischen Sudan bekannt sich die Bevölkerung im Südsudan vorwiegend zu lokalen Religionen oder zum Christentum. Die Christen sind mehrheitlich römisch-katholisch und anglikanisch. Die Bibelgesellschaft arbeitet mit allen Kirchen zusammen. Im Bereich der Bibelverbreitung vor allem mit der römisch-katholischen Kirche, welche in Juba einen Bibelladen unterhält.

     

    Im Südsudan leben 64 Volksgruppen, von denen jede ihre eigene Sprache hat. Bisher gibt es nur in zehn dieser Sprachen eine Bibelübersetzung. Dies macht auf eindrückliche Weise deutlich, dass es für die junge Bibelgesellschaft noch viel Arbeit gibt. Zuletzt konnte 2013 eine Bibel in Schilluk veröffentlicht werde, deren Übersetzung interkonfessionell erarbeitet wurde.  Zurzeit arbeitet die Bibelgesellschaft – trotz Krieg – an Übersetzungen in den Sprachen Mabaan, Zande und Bari.

     

    Von den rund 12 Millionen Einwohnern sind 76,8 Prozent Christen, 21% Anhänger indigener Religionen und 2,2% Muslime.

     

    Die Zeitschrift "die Bibel aktuell" wird gemeinsam von den Bibelgesellschaften der Schweiz und Österreich herausgegeben.

     

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  • Schätzungsweise zwischen 70 und 100 Millionen Christen

     Zahl der Christen in China steigt weiter

    Hongkong, 23.07.2016 (RV/CBS KULTUR INFO)   Nach Angaben von Radio Vatikan bleibt es ein vordringliches Ziel der römisch-katholischen Kirche in China mehr Vertrauen zwischen Staat und Christen aufzubauen. In Hongkong diskutieren bis zum 24. Juli Theologen und Wissenschaftler die Situation der Christen in China, vor allem das Verhältnis von Kirche und Staat. Dass die Tagung in Hongkong stattfindet, sei nicht zufällig. Gerade dort, in der ehemaligen britischen Kronkolonie, ist die chinesische Regierung besorgt, dass die christlichen Kirchen die Autorität des Staates untergraben könnten. 

     

    Auch heute noch, knapp 20 Jahre nach dem Ende des britischen Zeitalters in Hongkong, sind die Themen Rechtsstaatlichkeit und Pluralismus allgegenwärtig in der so genannten Sonderverwaltungszone der Volksrepublik China. Das Christentum hat eine lange Geschichte in China und gehört zu den fünf Hauptreligionen. Gerard Mannion, römisch-katholischer Theologe an der Georgetown University, ist einer der Organisatoren der Konferenz in Hongkong. Er sagte im Gespräch mit Radio Vatikan: "Es ist unglaublich schwierig zu sagen, wie viele Christen es in China gibt. Die Zahlen schwanken zwischen 28 und 120 Millionen. Verlässlich dürfte eine Zahl von 70 Millionen sein. Dass dies so schwierig ist, liegt vor allem daran, dass viele Christen ihren Glauben in so genannten Hauskirchen praktizieren, also in inoffiziellen Formen. Insgesamt nimmt die Bedeutung christlicher Gruppierungen in China zu."

     

    Dass gerade Katholiken in China ihren Glauben eher im Verborgenen leben, hängt mit der schwierigen und komplizierten Situation der dortigen römisch-katholischen Kirche zusammen. Sie ist in China verboten, existiert deshalb als eine Art Untergrundkirche und ist ständig chinesischer Überwachung und Repression ausgesetzt. Die Regierung in Peking setzt auf die staatlich zugelassenen Kirchen der so genannten "Katholisch-patriotischen Vereinigung", die wiederum vom Heiligen Stuhl nicht anerkannt wird. Der frühere Papst Benedikt hatte im Jahr 2007 als grösstes Problem die Bischofsernennungen benannt und scharf kritisiert, dass in China Bischöfe ohne Zustimmung des Heiligen Stuhls geweiht werden. Seitdem ist der Anteil der vom Vatikan anerkannten Bischöfe auf etwa 60 Prozent gestiegen.

     

    Der Weihbischof der katholischen Diözese Hongkong, Michael Yeung, sieht deutliche Verbesserungen in den Beziehungen der römisch-katholischen Kirche und des sozialistischem, autoritären Regierungssystem in Peking. Allerdings glaubt Yeung nicht, dass die bestehenden Differenzen, insbesondere bei der Ernennung von Bischöfen und bei der Anerkennung der Zuständigkeiten des Papstes, in nächster Zeit ausgeräumt werden können. Er setzt auf den Dialog mit Peking - ganz im Sinne von Papst Franziskus, der immer wieder betont, es müssen Brücken gebaut, nicht eingerissen werden.

     

    Die englischsprachige Wochenzeitung "The Economist" schätze 2015 die Zahl der Christen in China auf 100 Millionen. Der amerikanische "Council on Foreign Relations" (CFR), ein unabhängiger Think Tank, geht davon aus, dass sich die Zahl der Christen bis 2025 auf 160 Millionen erhöhen wird.

     

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  • Ägyptischer Jesuit P. Samir Khalil Samir bedauert Radikalisierung durch Salafisten, Muslimbrüder und Wahabiten

     Islamberater des Vatikans: "Islam in schlimmster Phase seiner Geschichte"

     

     

     

     

     

     

     

    Kairo/Ägypten, 22.07.2016 (poi/CBS KULTUR INFO)   Der ägyptische Jesuitenpater Samir Khalil Samir, einer der führenden Islamberater des Vatikans, sieht die islamische Welt derzeit in der schlimmsten Phase ihrer Geschichte. Es gebe in der gesamten islamischen Welt eine Atmosphäre, die sich zunehmend radikalisiere, bedauerte er in einem Interview mit der römisch-katholischen Nachrichtenagentur "Zenit".

     

    Im Hinblick auf den Täter von Nizza, Mohamed Lahouaiej Bouhlel, habe sich jetzt eindeutig herausgestellt, dass das Motiv kein persönliches, sondern ein politisches Problem war, eine bewusste Entscheidung für einen terroristischen Akt. Lahouaiej Bouhlel habe sein ganzes Geld von der Bank abgehoben und 100.000 Euro an seine Angehörigen in Tunesien geschickt. Es gebe Aussagen, dass er sich kurz vor dem Verbrechen radikalislamisch geäussert habe, erinnerte Pater Samir Khalil Samir.

     

    Viele junge Menschen, die nicht zufrieden sind, meinen, dass alle Probleme in der islamischen Welt im Handeln des Westens begründet liegen, bedauerte der Jesuit. Diese jungen Leute hätten die Vorstellung, dass sie durch dschihadistische Taten den Islam verteidigen, ihre eigenen Probleme lösen und den Himmel erlangen könnten. Viele würden sich durch das Internet radikalisieren, in dem ungestört spezialisierte Netzwerke aktiv seien. Diese Netzwerke würden auch von halbstaatlichen Autoritäten etwa aus Saudi-Arabien unterstützt, die dem Wahabismus anhängen. Sogar in einem Land wie Ägypten werde den Leuten eingeredet, der "wahre Islam" würde durch Salafisten, Muslimbrüder oder Wahabiten vertreten. Die unbeschränkten Finanzmittel der Wahabiten – die mittlerweile auch grossen Einfluss auf die Muslimbruderschaft ausübten - spielten dabei eine grosse Rolle.

     

    Intellektuell, ökonomisch sei die islamische Welt derzeit Schlusslicht, betonte der Jesuit. Anstatt den Grund dafür bei sich selbst zu suchen, in der falschen Theologie oder Auslegung des Korans, meinte viele Muslime, die Schuld liege am Westen, an der "Kolonialgeschichte"  und an der "Einmischung" der USA und Europas in die nahöstliche Politik.

     

    Von islamischer Seite werde immer wieder betont, dass die Terror-Verbrechen nichts mit dem Islam zu tun haben, dass die Täter Fanatiker seien, dass der Islam "Friede" (Salām) bedeute. Auch der bis 2010 als Rektor an der Al-Azhar-Universität in Kairo tätige Islamgelehrte, Ahmad Mohammad al-Tayyeb, habe das auf seiner Tournee vor einigen Wochen durch Europa gesagt, in Deutschland wie auch beim Papst und bei Präsident Hollande in Paris. Ahmad Mohammad al-Tayyeb wurde 2010 als Nachfolger des verstorbenen Muhammad Sayyid Tantawi zum Scheich al-Azhar ernannt.

     

    Demgegenüber müsse man nur die Fahne des IS anschauen, betonte der dem Jesuitenorden angehörende Pater: "Diese Fahne ist schwarz wie die von Mohammed, und darauf steht: 'Es gibt keinen Gott ausser Gott und Mohammed ist sein Prophet', das ist das Credo aller Muslime. Dazu kommt das Schwert. Auch Mohammed hatte das Schwert als Symbol, so sieht auch die Fahne Saudi-Arabiens aus. Die anderes sagen, wollen nicht der Realität ins Auge sehen".

     

    Seit der Islamische Staat (IS) das grundlose Blutvergiessen begonnen hat, sei es jederzeit und an jedem Ort möglich, dass ein Muslim, der eine Gehirnwäsche durchgemacht hat, Leute tötet, stellte der ägyptische Jesuit fest. Darauf sei die Welt nicht vorbereitet, auch die Armeen nicht. Es sei schwierig, gegen Terroristen einen organisierten Krieg zu führen. Die radikalisierten Islamisten würden sich oft auch auf den Einmarsch der US-geführten Koalition im Irak berufen und daraus ableiten, dass jene, "die die Macht haben, alles tun dürfen, während die anderen es akzeptieren müssen". Man dürfe auch den Einfluss der Wahabiten – deren Lehre in Saudi-Arabien sozusagen Staatsreligion ist – nicht übersehen. Sie würden ihre Vision des Weges zur Weltherrschaft als wohlbegründet in Koran und Sunna betrachten.

     

    Die liberalen Muslime dagegen seien der Auffassung, dass der Koran Anfang des 7. Jahrhunderts auf der Arabischen Halbinsel entstanden sei. Heute aber gebe es eine total andere Zivilisation und Kultur. Deshalb müsse der Islam neu interpretiert werden, nicht wörtlich, sondern dem Geist nach. Das sei es, was der ägyptische Präsident Abd-el-Fattah al-Sisi in seiner Rede an der Al-Azhar an der Jahreswende 2014/15 gesagt habe – "in Anwesenheit von Hunderten von Imamen: 'Wir brauchen eine Revolution im Islam, eine neue Interpretation unserer Texte'". Damals hätten alle lange applaudiert, aber bis jetzt habe sich an der Lehre und in den Büchern nichts geändert, bedauerte der ägyptische Jesuit. Die Azhar (arabisch الأزهر) ist eine islamische wissenschaftliche Institution von internationalem Rang, die ihren Sitz in Kairo hat und vom ägyptischen Staat unterhalten wird. Sie umfasst unter anderem die Azhar-Universität (جامعة الأزهر / ǧāmiʿat al-Azhar), die Akademie für islamische Untersuchungen und die Azhar-Moschee und wird von einem islamischen Gelehrten, dem Scheich al-Azhar, geleitet.

     

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