• Orthodoxer Patriarch schlägt für die Hagia Sophia ein "Simultaneum" vor

    Auch die Kirche von Zypern plädiert für eine solche Lösung, die christlichen und muslimischen Gottesdienst ermöglicht – Gerüchte über Kompromisslösung mit der Hagia Irene

     

    Orthodoxer Patriarch schlägt für die Hagia Sophia ein "Simultaneum" vor

     

     

     

     

     

     

     

    Belgrad-Istanbul-Nikosia-Wien, 20.07.20 (poi/CBS KULTUR INFO) Es mehren sich Stimmen, die für die Hagia Sophia ein "Simultaneum" – eine Nutzung als Kirche und als Moschee, wie es etwa in den letzten Jahrhunderten des 1. Jahrtausends mit der Johanneskathedrale in Damaskus (heute Omayyadenmoschee) der Fall war – als einzige Lösung sehen.

    So stellte der serbisch-orthodoxe Patriarch Irinej am 14. Juli in einer Erklärung wörtlich fest: "Nach unserer Auffassung besteht die einzige gerechte Lösung – wenn man die Museums-Entscheidung Atatürks ändern will – darin, die Möglichkeit zum Gottesdienst in der Hagia Sophia nicht nur den Muslimen, sondern auch den Christen zu geben. Die Kirche ist gross genug, um allen Platz zur Anbetung ohne Behinderung der anderen zu bieten. Eine solche Lösung würde kein Novum in der modernen Welt sein. Nicht nur in Jerusalem und auf dem Sinai – heiligen Stätten für die Gläubigen beider Religionen -, sondern auch anderswo, sogar in Serbien und einigen Regionen, wo das serbische Volk lebt, stehen Kirche und Moschee oft nebeneinander und bezeugen die geschichtliche Symbiose, Toleranz und das Vertrauen zwischen den Nachbarn".

     

    Die Bedeutung der Hagia Sophia liege nicht nur in ihrem künstlerischen und kulturellen Wert, unterstrich Patriarch Irinej. Vor allem sei die Hagia Sophia für alle Christen, Orthodoxe und andere, ein bedeutendes Heiligtum, "Zeuge und Quelle authentischer Spiritualität". Zweifellos sei sie Jahrhunderte hindurch auch für muslimische Gläubige Ort des Gebets und der Inspiration gewesen. Daher sei es nicht verwunderlich, dass Atatürk, der Schöpfer der modernen Türkei, als Zeuge der historischen Koexistenz von Muslimen und Christen, eine Kompromisslösung gefunden habe, um die Kirche in ein Museum umzuwandeln, das für alle offen ist, wobei es Christen und Muslimen unbenommen war, still im Geist des persönlichen Glaubens und der persönlichen Tradition zu Gott zu beten. Die Rückumwandlung der Hagia Sophia in eine Moschee sei daher nicht nur eine historische Ungerechtigkeit, sondern auch ein unnötiger politischer Schachzug, der dem internationalen Image der Türkei und den Beziehungen und dem Vertrauen zwischen Christen und Muslimen in der Welt schadet. Es sei zu hoffen, so der Patriarch, dass alle verstehen, wie sehr es für die Zukunft nicht einer künstlich angestachelten Konfrontation zwischen den beiden grössten Weltreligionen – Christentum und Islam – bedarf, sondern des Friedens zwischen den Gläubigen, "aber nicht nur des Friedens oder der Toleranz, sondern auch des gegenseitigen Respekts, des Dialogs und der Zusammenarbeit in allen Bereichen, die dem Wohl der Völker dienen".

     

    Am 16. Juli äusserte sich der Heilige Synod der orthodoxen Kirche von Zypern unter dem Vorsitz von Erzbischof Chrysostomos II. ähnlich wie der serbische Patriarch. Die Mitglieder des Heiligen Synods plädierten – "im Geist des Vorschlags von Patriarch Irinej" – dafür, dass dem Ökumenischen Patriarchen "als dem eigentlichen Eigentümer" des Bauwerks ermöglicht wird, die Göttliche Liturgie in einem bestimmten Bereich der Hagia Sophia zu feiern, während der muslimische Gottesdienst in einem anderen Bereich des Sakralbaus stattfinden könnte.

     

    Der Heilige Synod brachte – auch im Hinblick auf die Gefühle von "Zorn und Empörung" im zypriotischen Volk – seine tiefe Sorge über die Umwandlung der Hagia Sophia in eine Moschee zum Ausdruck. Zugleich erinnerten die Bischöfe an die Plünderung der meisten christlichen Heiligtümer im 1974 von türkischen Truppen besetzten Nordteil der Insel. Es sei bedauerlich, dass die ökonomischen und militärischen Interessen des Westens jede Massnahme gegen jene Kräfte verhindern, "die den christlichen Glauben und die Werte seiner Kultur beleidigen". In der türkischen Führung sei man offensichtlich entschlossen, eine Kehrtwende gegen Europa durchzuführen und die Vision eines neuen Osmanischen Reiches verwirklichen zu wollen. Diese Haltung werde zu einer "tiefen Kluft zwischen Christentum und Islam führen".

     

    Am 17. Juli erschienen in zwei Wiener Zeitungen Kommentare im Sinn eines "Simultaneums". Kardinal Christoph Schönborn schrieb in der Tageszeitung "Heute", nachdem er kurz die Geschichte des "unvergleichlichen Juwels im Herzen von Istanbul", der "ehemals grössten Kirche der Christenheit", Revue passieren liess: "Politik und Religion haben immer wieder um Gotteshäuser gestritten und gekämpft. Muslime wünschen sich, dass die ehemalige grosse Moschee von Cordoba in Spanien, heute eine Kirche, wieder eine Moschee wird. Die Kirche St. Leopold in Wien II. wurde an der Stelle einer Synagoge errichtet, nach der Vertreibung der Juden aus Wien im Jahr 1670. Blutig verlief 1992 die Zerstörung der Moschee in Ayodhya in Indien durch Hindus. Die Liste lässt sich leider verlängern. Ein Traum wäre es, wenn die Hagia Sophia ein Zentrum der Begegnung der Religionen würde. Es wäre für alle ein Sieg und ein Segen".

     

    Der Präsident der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGÖ), Ümit Vural, stellte im "Standard" fest, er begrüsse es einerseits, dass "dieses aussergewöhnliche Gotteshaus wieder für seinen ursprünglichen Zweck genutzt werden soll: das Gebet". Nichtsdestotrotz sei leider auch Kritik angebracht, sowohl an der Art wie die Diskussion geführt wird, als auch an der Art und Weise, wie dieses Museum wieder zur Moschee wurde. Während die Kritik an der Umwidmung genau jene antitürkischen und antimuslimischen Ressentiments bediene, die überwunden werden sollten, werde "die Umwidmung eines Museums, das uns allen gehört, in ein Gotteshaus, das einer Religion gehört, der Geschichte der Hagia Sophia nicht gerecht". Dieses Gotteshaus sei zuvor beides gewesen, Kirche und Moschee. Wörtlich knüpft Vural daran die Folgerung: "Es sollte im Sinne eines Zusammenwachsens unserer Kulturkreise, um Ausgrenzung und Konflikte zu vermeiden, eine gemeinsame Nutzung möglich sein". Nur auf diese Art könne die Hagia Sophia ihrem Namen gerecht werden und die Weisheit verbreiten, "dass wir unsere religiösen Konflikte hinter uns lassen müssen. Wir können keine Moscheen mehr in Kathedralen umwandeln und keine Kathedralen mehr in Moscheen". Kirchen, Synagogen und Moscheen seien alle Gotteshäuser, "wir glauben alle an den einzig wahren Gott".

     

    Hagia Irene war nie Moschee

     

    Inzwischen ist in der Gerüchteküche des östlichen Mittelmeers noch ein weiterer Lösungsvorschlag aufgetaucht: Die türkische Regierung könnte der Orthodoxie gleichsam als "Ersatz" für die Hagia Sophia die Irenenkirche übergeben (und als "Draufgabe" die Wiedereröffnung der Theologischen Hochschule auf Chalki gestatten). Die Irenenkirche im ersten Hof des Topkapi-Palastes wurde von Konstantin dem Grossen im 4. Jahrhundert als erste Kirche Konstantinopels erbaut. In der Hagia Irene tagte im Jahr 381 das Zweite Ökumenische Konzil. Sie war die Kathedrale des Ökumenischen Patriarchats, bevor die Hagia Sophia errichtet wurde und galt einst als die schönste Kirche der Christenheit.

     

    Im Jahr 532 wurde die Hagia Irene beim Nika-Aufstand schwer beschädigt, Justinian der Grosse sorgte für die Restaurierung. In der Zeit des Bildersturms (726-841) sowie beim grossen Erdbeben im Jahr 740 wurde die Hagia Irene wieder in Mitleidenschaft gezogen. Die von einem Riesenkreuz auf goldenem Grund gezierte Apsis ist eine der ältesten erhaltenen Teile der überkuppelten Basilika. Sie stellt ein einzigartiges Zeugnis der ikonoklastischen (bildlosen) Kunst dar.

     

    Eine Besonderheit der Hagia Irene ist, dass sie als eine der wenigen Kirchen Konstantinopels nach der osmanischen Eroberung nicht in eine Moschee umgewandelt wurde. Die Kirche wurde von den Janitscharen als Waffenlager genutzt, im 19. Jahrhundert wurde ein Museum in dem früheren Gotteshaus eingerichtet. Seit 1973 wird die restaurierte Kirche wegen ihrer eindrucksvollen akustischen Atmosphäre für klassische Konzerte genutzt, als Museum untersteht sie der Hagia-Sophia-Museumsdirektion (die jetzt aufgelöst werden muss). Als das Panorthodoxe Konzil vorbereitet wurde (das dann 2016 auf Kreta abgehalten werden musste), dachte Patriarch Bartholomaios I. zunächst an die Hagia Irene als Tagungsort. Entsprechende Verhandlungen mit den türkischen Behörden wurden eingeleitet.

     

    Die Hagia Irene ist historisch zutiefst mit der Hagia Sophia verbunden, denn Konstantin der Grosse konzipierte für seine neue Kaiserstadt am Bosporus drei grossartige Kirchen: die Hagia Sophia, die Hagia Irene und die Hagia Dynamis (sie ist praktisch verschwunden, möglicherweise sind die vor einigen Jahren im Bezirk Sirkeci bei Bauarbeiten entdeckten Fundamente einer antiken Kirche der letzte Rest dieses Gotteshauses). Die drei Gotteshäuser symbolisieren nicht nur Attribute Gottes – Weisheit (Sophia), Frieden (Irene), Stärke (Dynamis) -, sondern symbolisieren auch die göttlichen Personen (Sophia/Christus, Irene/Heiliger Geist, Dynamis/Gott Vater).

      

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