• Ukraine: Hintergründe der Orthodoxen Kirchenkrise

    Moskau friert Beziehungen zu Konstantinopel ein - Metropolit Hilarion: "Wir wollten das vermeiden"

     

    "Tür zum Dialog ist nicht völlig verschlossen" – Russisch-orthodoxe Laien können in Kirchen des Ökumenischen Patriarchats die Heilige Kommunion empfangen – Sorge um die grossen orthodoxen Heiligtümer in der Ukraine

    Ukraine: Hintergründe der Orthodoxen Kirchenkrise

     

     

     

     

     

     

    Moskau/Russland, 16.09.18 (poi/CBS KULTUR INFO)   "Wir wollten das vermeiden, viele Jahre haben wir versucht, die Probleme durch Dialog zu lösen", sagte Metropolit Hilarion (Alfejew), der Leiter des Aussenamts des Moskauer Patriarchats, bei einem Gespräch mit Journalisten unmittelbar nach Beendigung der Sondersitzung des Heiligen Synods der russisch-orthodoxen Kirche wegen der Ukraine-Krise mit dem Ökumenischen Patriarchat. Der letzte Versuch sei am 31. August die Reise von Patriarch Kyrill nach Konstantinopel gewesen, wo der Patriarch bei einem "vertraulichen und brüderlichen Gespräch" im Phanar die Position der russischen Kirche dargelegt und vor den Schritten gewarnt habe, die dann "leider erfolgt" seien.

     

    Aber sobald Patriarch Kyrill die Bosporus-Metropole verlassen habe, sei durch Patriarch Bartholomaios I. der Heilige Synod von Konstantinopel einberufen worden (Hilarion: "Wir haben das erst später erfahren"). Bei dieser Sitzung sei beschlossen worden, die Vorschläge aus Moskau nicht zu akzeptieren. Dann sei bei der "Synaxis" der Bischöfe des Ökumenischen Patriarchats aus aller Welt ab 1. September mitgeteilt worden, wie man in der Ukraine vorgehen wolle und eine Woche später seien die Exarchen ernannt worden. Am 8. September habe der Heilige Synod des Moskauer Patriarchats angekündigt, dass es "sehr bald" eine Antwort auf die Schritte Konstantinopels geben werde. Die Entscheidung darüber sei am 14. September erfolgt.

     

    Im Hinblick auf die Gründe, warum es zur Entsendung von Exarchen nach Kiew durch Konstantinopel gekommen sei, sagte der Metropolit, der Phanar sei in Eile mit dem Autokephalie-Verfahren, "solange Präsident Poroschenko noch an der Macht ist". Er denke aber nicht, dass all das, was vorgefallen sei, die Tür zum Dialog völlig verschliesse, betonte der Leiter des Aussenamts des Moskauer Patriarchats. Die Entscheidung des Moskauer Heiligen Synods sei aber ein Signal an Konstantinopel, dass es zum Abbruch der eucharistischen Gemeinschaft kommen müsse, wenn der Phanar weiterhin Aktionen wie die Ernennung der Exarchen setze.

     

    Im Gespräch mit den Journalisten hob Metropolit Hilarion im Hinblick auf entsprechende Fragen hervor, dass die am Freitag in Moskau beschlossenen Massnahmen keinen "kompletten Bruch" der eucharistischen Gemeinschaft bedeuten. Laien, die etwa auf den Berg Athos pilgern oder sonst an der Liturgie in Kirchen des Ökumenischen Patriarchats teilnehmen, könnten dort die Heilige Kommunion empfangen. Bei den Fürbitten in den Gottesdiensten des Moskauer Patriachats (Metropolit Hilarion sagte wörtlich: "bei den von Patriarch Kyrill zelebrierten Liturgien") werde ab sofort aber nicht mehr Bartholomaios I. an erster Stelle genannt werden, sondern der Patriarch von Alexandrien.

     

    Auf die Frage, ob er fürchte, dass nach einer möglichen Autokephalie-Erklärung "für die Ukraine" die grossen orthodoxen Heiligtümer wie das Kiewer Höhlenkloster oder das Kloster von Potschajew der Kirche des Moskauer Patriarchats entzogen werden könnten, meinte der Metropolit, das sei nicht auszuschliessen. Auch bisher seien der ukrainisch-orthodoxen Kirche Gotteshäuser weggenommen worden, 50 Kirchen hätten sich die Schismatiker angeeignet. Wenn das Autokephalie-Projekt weitergehe, müsse man mit schwerwiegenden Konsequenzen für die ukrainisch-orthodoxe Kirche des Moskauer Patriarchats rechnen.

     

    Auf "facebook" hielt Metropolit Hilarion seine Überzeugung fest, dass das Ökumenische Patriarchat im 20. Jahrhundert bei schwierigen Situationen dem Moskauer Patriarchat nicht brüderliche Hilfe gewährt, sondern vielmehr getrachtet habe, die russische Kirche zu schwächen. Im Hinblick auf die Bemühungen Konstantinopels um "Autokephalie für die Ukraine" zur Überwindung der Spaltungen stellte der russische Metropolit die rhetorische Frage, warum der Phanar sich nicht für eine einheitliche orthodoxe Kirche in den USA einsetze. Dort werde alles getan, um zumindest einen Teil der Orthodoxen unter dem Omophorion Konstantinopels zu behalten. Abschliessend rief er zum Gebet für die ukrainisch-orthodoxe Kirche und den Metropoliten von Kiew, Onufrij (Berezowskij) auf; die "Kräfte der Hölle" hätten sich zur Zerstörung dieser Kirche verschworen, aber sie würden nicht siegen. Zugleich lud der Metropolit auch zum Gebet für die Schismatiker ein, damit sie durch Reue und Busse zur kirchlichen Einheit zurückkehren.

     

    Die Last der Geschichte

     

    Den grössten Teil des "Statements" des Moskauer Heiligen Synods nimmt die Widerlegung der Darlegungen aus Konstantinopel ein, dass die Metropolie Kiew niemals auf Dauer der Moskauer Jurisdiktion unterstellt worden sei. Diese Darlegungen seien "unwahr" und würden den historischen Fakten "völlig widersprechen". Die russisch-orthodoxe Kirche und ihr erster Hauptsitz – die Kiewer Metropolie – hätten über Jahrhunderte eine Einheit gebildet, auch wenn verschiedene politische Umstände diese Einheit immer wieder gefährdet hätten. Auch als der Hauptsitz von Kiew zunächst nach Wladimir und dann nach Moskau transferiert worden sei, hätten die Metropoliten von "ganz Russland" immer noch "Metropoliten von Kiew" geheissen.

     

    Die zeitweise Zweiteilung der Metropolie von "ganz Russland" sei von den "unheilvollen Konsequenzen" des Konzils von Ferrara-Florenz und dem Beginn der Union mit Rom im 15. Jahrhundert verursacht worden, diese Union sei von der Kirche von Konstantinopel zunächst akzeptiert, von der russischen Kirche aber sofort zurückgewiesen worden. 1448 habe das Bischofskonzil der russischen Kirche ohne den Segen des Patriarchen von Konstantinopel – der zu diesem Zeitpunkt uniert war – den später heiliggesprochenen Bischof Jonah zum Metropoliten gewählt. Damals habe das autokephale Leben der russisch-orthodoxen Kirche begonnen. 1593 sei die Moskauer Metropolie durch den gemeinsamen Beschluss der Patriarchen von Konstantinopel, Alexandrien, Antiochien und Jerusalem zum Patriarchat erhoben worden. Die Wiedervereinigung der Kiewer Metropolie mit der russischen Kirche sei 1686 erfolgt. Das Dokument des damaligen Patriarchen von Konstantinopels, Dionysios IV., und der Mitglieder seines Heiligen Synods sage nichts über eine "vorübergehende" Natur des Transfers der Kiewer Metropolie aus – und widerlege damit die "grundlosen Behauptungen der heutigen konstantinopolitanischen Hierarchen". 300 Jahre, bis in das 20. Jahrhundert, habe keine der orthodoxen Ortskirchen – "einschliesslich der Kirche von Konstantinopel" – je die Jurisdiktion der russischen Kirche über die Kiewer Metropolie in Zweifel gezogen. Der erste Versuch in dieser Richtung sei erfolgt, als Konstantinopel der orthodoxen Kirche des wiedererstandenen Polen 1924 die Autokephalie zuerkannte und im entsprechenden "Tomos" vermerkte, dass bei der Sezession der Kiewer Metropolie und der orthodoxen Eparchien in der polnisch-litauischen Doppelrepublik, der „Rzeczpospolita“, nicht alles den kirchenrechtlichen Vorschriften entsprochen habe.

     

    Im "Statement" wird weiters darauf verwiesen, dass Konstantinopel nach dem Ersten Weltkrieg nicht nur im wiedererstandenen Polen, sondern auch in den neu entstandenen Staaten auf dem Boden des früheren Russischen Reiches – Finnland, Estland, Lettland – hinter dem Rücken des von der grausamen bolschewistischen Kirchenverfolgung schwer bedrängten Moskauer Patriarchats auf dessen kanonischem Territorium eigene Metropolien errichtet habe.

     

    Zugleich wird im "Statement" festgestellt, dass Konstantinopel in den 1920er-Jahren mit den bolschewistischen Machthabern gegen das Moskauer Patriarchat kooperiert habe. Insbesondere habe es intensive Kontakte des offiziellen Repräsentanten des Ökumenischen Patriarchats in Moskau, Archimandrit Basilios Dimopoulo, mit der sogenannten "Erneuerer-Bewegung" gegeben, die von der kommunistischen Regierung gefördert wurde und das Moskauer Patriarchat in ihre Gewalt bringen wollte. Dimopoulo habe an den "Räuber-Synoden" der "Erneuerer" teilgenommen, 1924 habe der damalige Ökumenische Patriarch Gregorios VII. den Moskauer Bekenner-Patriarchen Tichon zur Abdankung aufgefordert. Und im selben Jahr sei von Gregorios VII. eine Spezialkommission eingerichtet worden, die sich um den "Ausgleich der einander widersprechenden Richtungen in der russischen Kirche" annehmen sollte. Patriarch Tichon sei allerdings nicht informiert oder befragt worden und habe entschiedenen Protest gegen die Entsendung der Kommission aus Konstantinopel eingelegt.

     

    Durch das "Blutzeugnis von tausenden Neu-Märtyrern" habe die russische Kirche überlebt. Aber als in den 1990er-Jahren durch die grossen geopolitischen Verwerfungen eine neue Zerreissprobe auf die russische Kirche zukam, habe die Kirche von Konstantinopel neuerlich in vollem Ausmass ihr "unbrüderliches Verhalten" gezeigt, heisst es im "Statement". 1978 habe der damalige Ökumenische Patriarch Demetrios den "Tomos" von 1923 über den Transfer der Zuständigkeit für Estland an Konstantinopel widerrufen, aber 1996 habe der Phanar neuerlich eine eigene Metropolie in der baltischen Republik errichtet. Zu diesem Zeitpunkt habe Konstantinopel auch erste Versuche unternommen, um in die ukrainischen kirchlichen Verhältnisse einzugreifen. So habe Konstantinopel 1995 zuvor schismatische ukrainische Gemeinschaften in den USA in seine Jurisdiktion aufgenommen.

     

    Die jetzige Haltung des Patriarchats von Konstantinopel in Sachen Autokephalie widerspreche der gemeinsamen Position aller autokephalen orthodoxen Kirchen, wie sie in der Vorbereitung auf das Heilige und Grosse Konzil  ausgearbeitet worden sei, hält das "Statement" des Moskauer Heiligen Synods fest. Während es keinerlei Autokephalie-Ansuchen des Episkopats der ukrainisch-orthodoxen Kirche gebe, habe Bartholomaios I. die entsprechenden Vorbringungen der ukrainischen Regierung und der Schismatiker in Betracht gezogen.

     

    Scharfe Kritik wird im "Statement" an den Ausführungen des Ökumenischen Patriarchen bei der jüngsten "Synaxis" in Konstantinopel geübt. Wenn Bartholomaios I. feststelle, dass die Orthodoxie ohne das Ökumenische Patriarchat nicht existieren könne und dass dieses Patriarchat – im Sinn des Galater-Briefs – der "Sauerteig" sei, der den ganzen Teig der Orthodoxie durchsäuert, so seien das ekklesiologische Ansichten, die der Orthodoxie fernstehen. Es sei schwer, "in diesen Behauptungen etwas anderes zu sehen als den Versuch, die orthodoxe Ekklesiologie in Übereinstimmung mit dem römisch-katholischen Modell zu reformieren". Kritik wird auch daran geübt, dass Konstantinopel verwitweten oder verlassenen Klerikern eine Wiederheirat gestatten will.

     

    Noch bei der "Synaxis" zur Vorbereitung des Panorthodoxen Konzils im Jänner 2016 habe Patriarch Bartholomaios I. Metropolit Onufrij von Kiew den einzigen kanonischen Primas der orthodoxen Kirche in der Ukraine genannt. Zugleich habe der Patriarch damals zugesagt, dass es beim Konzil in Kreta oder danach keine Versuche geben werde, eine der schismatischen Gruppierungen in der Ukraine zu legalisieren. "Mit Bedauern" müsse festgestellt werden, dass diese Zusage jetzt gebrochen worden sei.

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